
Diversität ist zurzeit in aller Munde. Jede Organisation möchte möglichst divers sein. Sie gilt als Erfolgsfaktor unternehmerischen Handelns und wird oft auch als Schmucksiegel benutzt. Diversität hat es mittlerweile in zahlreiche Leitbilder von Unternehmen geschafft. Überall steht auf die ein oder andere Art und Weise, dass Diversität zu besseren Ergebnissen führt, den Gewinn vergrößert und Innovationen sichert.
Alles richtig, so weit so gut. Für mich bleiben diese Aussagen dennoch oft zu abstrakt. Mag sein, dass sich das Management in der Wirtschaft erst dann für Diversität einsetzt, wenn man ihren Mehrwehrt in Zahlen ausdrücken kann. Aber Vielfalt sollte mehr als das sein. Denn bei Diversität geht es in erster Linie um uns und unser Miteinander. Es geht darum, wie es uns gelingt, aus unserer Verschiedenheit wirklich etwas Positives herauszuholen. Und meine Erfahrung ist: Das ist nicht unbedingt ein Selbstläufer.
Diversität im Alltag leben – schwieriger als man denkt
Was passiert mit der introvertierten Kollegin, deren Meinung in Teammeeting oft überhört wird? Schätzen wir Argumente auf die gleiche Weise, auch wenn eine Person eine Sprache noch nicht fließend spricht? Nehmen wir die Meinung einer jungen Kollegin genauso ernst wie eines Mitarbeitenden, der schon lange im Unternehmen ist? Sind die älteren Mitarbeitenden bereit, von den „Digital Natives“ zu lernen? Trauen wir einem Kollegen im Team genauso viel zu, auch wenn er ab und an wegen einer psychischen Erkrankung ausfällt? Würde eine Mitarbeiterin auf eine Führungsposition kommen, obwohl sie alleinerziehend mit einem kleinen Kind ist?
Ich glaube, wir würden diese Fragen gerne mit einem uneingeschränkten „Ja“ beantworten. Aber wenn wir ehrlich in uns hineinhorchen, dann kennen wir Situationen, in denen das nicht geklappt hat. Eigentlich wollen wir, dass die verschiedenen Persönlichkeiten, Lebensentwürfe und -wege gleichermaßen anerkannt sind. Doch im Alltag tun wir uns manchmal schwer damit. Wenn Menschen verschieden sind, kann das unsere Routine stören. Diversität ist manchmal wie Sand im Getriebe, sie sorgt für Reibung, gerade dort, wo man sonst so schön einer Meinung ist. Aber vielleicht sollte man nicht den Sand entfernen, sondern das Getriebe umbauen, damit es weniger anfällig ist.
Diversitätsmanagement ist eine gemeinsame Anstrengung
Auf den Punkt gebracht: Nur weil es Menschen mit verschiedenen Hintergründen im Team gibt, heißt es noch lange nicht, dass diese Vielfalt zu etwas Positivem führt. Dafür bedarf es einer gemeinsamen Anstrengung, Toleranz, Geduld und wie ich finde: Empathie. Entscheidend dafür ist die Führungskraft. Sie muss verschiedenen Persönlichkeiten und Meinungen Raum geben, sie wertschätzen und Positionen aushandeln lassen. Führungskräfte braucht man nicht zum Delegieren. Führungskräfte braucht man zum Moderieren.
Für mehr Diversität im Alltag muss sich jeder aber auch selbst an die Nase fassen. Wie nehmen wir Menschen wahr? Wie hören wir ihnen zu? Schnell verfallen wir dabei in gelernte Muster und einstudierte Gruppendynamiken. Wir haben unbewusste Wahrnehmungsmechanismen, die sofort aktiviert werden, wenn wir Menschen begegnen. Das können wir nicht einfach abschalten. Aber wir müssen uns bewusst machen, dass wir oft vorschnell über Menschen urteilen, was dazu führt, dass wir einigen Menschen Chancen geben und anderen eben nicht – zum Beispiel in Bewerbungsgesprächen oder auch in Projektmeetings. Genau das müssen wir hinterfragen.
Was bedeutet Diversität aber jetzt nun?
Als ich kürzlich an einer Diversity-Schulung der Landesstelle gegen Diskriminierung des Berliner Senats teilnahm, sollte ich zu Beginn auf eine Flipchart-Wand schreiben, was für mich Diversität bedeutet. Ich war hin und her gerissen. Mein erster Impuls: „Vielfalt trägt zu besseren Ergebnissen in Teams bei.“ Oder: „Vielfalt heißt, andere Perspektiven einzunehmen.“ Dann habe ich mich dafür entschieden: „Vielfalt bedeutet, andere Menschen nicht in Schubladen zu stecken.“ Wenn uns das ein Stückweit gelingt, werden wir tatsächlich mehr Diversität erreichen. Und auch von ihr profitieren.
Silvia Zerbe, Diversity-Beauftragte des HZB
Weitere Information
Dieser Beitrag ist Teil einer Beitragsreihe zum European Diversity Month im Mai. In den folgenden Wochen werden wir hier Texte zu verschiedene Diversitätsthemen aus verschiedenen Blickwinkeln posten. Sobald die Texte veröffentlicht werden, findet ihr sie hier:
“Diversität regt kreatives Denken an.”
Sehr gut geschrieben. Gelebte Relevanz ist mehr als nur Zeitgeist-Welle.
Liebe Silvia,
der Artikel ist wirklich wunderschön! Danke dafür.
Viele Grüße
Lisa