
Die Physikerin Dr. Nomi Sorgenfrei entwickelt am HZB Methoden und Instrumente für die Forschung mit Röntgenlicht an BESSY II und untersucht selbst katalytisch aktive Dünnschichten. Ein Gespräch über Privilegien, Vielfalt am Arbeitsplatz und intersektionale Diskriminierungsformen.
Was ist Dir beim Thema Diversität besonders wichtig?
Die Wertschätzung von allen Menschen mit ihren verschiedenen Hintergründen, ob kulturell, religiös oder vom Gender her. Wir wollen ja alle nur ein schönes Leben haben und uns in die Gesellschaft einbringen. Und es ist sehr gut, wenn sich Menschen mit verschiedenen Perspektiven einbringen.
An welchen Punkten Deiner Arbeit spielt Diversität eine Rolle?
Ganz praktisch in der täglichen Begegnung mit Menschen aus internationalem Kontext. Das ist wirklich der Hauptteil, und da kommen ja auch Kultur und Religion mit ins Spiel, die uns jeweils unterschiedlich prägen. Bei der Bewirtung finde ich es zum Beispiel wichtig, zu berücksichtigen, dass manche Kulturen Schweinefleisch nicht essen oder dass viele Menschen heute vegan oder vegetarisch leben.
Wann hat es Dich weitergebracht, dass es unterschiedliche Meinungen zu einem Thema gibt?
Ich habe während meiner Promotion in Japan und in Stanford, USA gearbeitet, das war schon sehr anders, als in meiner deutschen Umgebung damals am DESY. Aber am meisten war ich damit konfrontiert bei meinem Coming out 2019: Da bin ich erstmals richtig in die queere Szene eingetaucht, habe Frauen aus Russland, Afrika oder Südamerika kennengelernt. Und gemerkt, welche Privilegien ich als weiße, westeuropäisch geprägte Frau mitbringe. Und auch, welche Privilegien mir jahrzehntelang, als ich noch als Mann gelesen wurde, zugebilligt wurden. Die hatte ich gar nicht gesehen, da war ich blind gewesen. Das geht ja vielen so: Die eigenen Privilegien sieht man nicht, das sind blinde Flecke. Aber als Frau konnte ich den Unterschied bemerken, dieses Anstarren, diese Aggression plötzlich von Unbekannten. Ich glaube, das hat mich verändert, ich reflektiere das nun mehr.
Wo gab es auch mal Reibung?
Ich sehe da die Identitätspolitik in ihren Übertreibungen. Menschen haben Sorge, dass jede und jeder nur noch für sich steht und die eigene Selbstverwirklichung absolut setzt. Menschen, die bisher Privilegien hatten, zum Beispiel als weißer cis-Mann, der auch noch hetero ist, müssen nun auch Macht abgeben, verlieren die Deutungshoheit. Eventuell fühlt es sich dann so an, dass alles zerfällt. Aber es ist gut, dass sich alle einbringen wollen, im Grunde bringt das die Gesellschaft weiter.
Für welchen Aspekt von Diversität (Herkunft, Gender, Alter, Behinderung, sexuelle Orientierung, Religion) sollte sich das HZB mehr engagieren?
Diskriminierung ist häufig intersektional, das heißt: Man wird nicht ernstgenommen oder diskriminiert, weil man eine Frau, nicht-weiß und nicht hetero ist, oder weil die soziale Herkunft anders ist oder man keinen Hochschulabschluss hat. Oder auch eine chronische Erkrankung oder Behinderung. Und diese Dimensionen verstärken sich gegenseitig. Das ist alles nicht gut und verhindert, dass wir allen Menschen zuhören, davon was lernen. Deswegen würde ich da keinen Aspekt herausgreifen, das ist alles wichtig.
Das Interview wurde geführt von Antonia Rötger.
Was heißt Intersektionale Diskriminierung?
Kurz gesagt: Intersektionale Diskriminierung betrifft Menschen, die aufgrund mehrerer Merkmale diskriminiert werden. Da diese Merkmale gleichzeitig auftreten, beeinflussen (und verstärken) sie sich wechselseitig[1]. Dabei entstehen für die Betroffenen neue Diskriminierungsformen. Beispiele für intersektionale Diskriminierung sind unter anderem:
- Eine geflüchtete Familie, die auf Transferleistungen angewiesen ist und kaum eine Chance auf dem Wohnungsmarkt hat.[1]
- Trans* Menschen, die aufgrund ihrer Staatsbürgerschaft oder aufgrund fehlender (finanzieller) Ressourcen keinen Zugang zum Prozess der Transition haben.[2]
- Die prekäre Situation illegal eingewanderter Migrantinnen als Haushaltsarbeiterinnen in Westeuropa.[3]
Was diese Beispiele gemeinsam haben: Die beschriebenen diskriminierenden Situationen können nicht auf einzelne Aspekte aufgeteilt werden – es handelt sich also bei intersektionaler Diskriminierung um einen mehrdimensionalen Ansatz, der ein vollständigeres Bild ermöglicht, um wirksamere Maßnahmen zur Antidiskriminierung besser zu entwicklen.
von Ribal Zeitouni.
Quellen:
- Fütty, Tamás Jules; Höhne, Marek Sancho; Llaveria Caselles, Eric (2020): Geschlechterdiversität in Beschäftigung und Beruf. Bedarfe und Umsetzungsmöglichkeiten von Antidiskriminierung für Arbeitgeber_innen. Herausgegeben von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Berlin. (Seiten 25-38)
- https://www.antidiskriminierungsstelle.de/DE/ueber-diskriminierung/was-ist-diskriminierung/diskriminierungsformen/diskriminierungsformen-node.html
- Lutz, Helma: Intime Fremde : Migrantinnen als Haushaltsarbeiterinnen in Westeuropa, in: L’ homme : Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft, Jg. 18 (2007) Nr. 1, 61-77. DOI: https://doi.org/10.25595/1053.
Dieser Beitrag ist Teil einer Blogreihe zum Thema Diversity. Die weiteren Artikel findest du hier.
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