Kipp-Elemente gibt es nicht nur in der Natur, sondern auch in Gesellschaften. Eine Studie des PIK diskutiert nun, welche gesellschaftlichen Veränderungen den Klimawandel noch bremsen könnten. Erste Anzeichen dieser Veränderungen sind sichtbar.
Vor kurzem las ich in Nature einen Aufsatz über die Kipp-Punkte im Klimasystem der Erde – etwas, vor dem Wissenschaftler*innen seit langem warnen. Es war keine schöne Lektüre. Die Eisschilde schmelzen schneller ab als erwartet, der Permafrost taut, die Wälder im Amazonasbecken schrumpfen, die Meeresströmungen, die Wärme und Kälte transportieren, verlangsamen sich. Diese Entwicklungen sind miteinander verbunden wie eine Reihe von Dominosteinen – kippt ein System, beschleunigt dies das Umkippen weiterer Systeme. Um solche Kipp-Punkte noch zu vermeiden, müssen die Treibhausgasemissionen allerspätestens bis 2050 weltweit komplett auf Null sinken. Das wird sehr schwierig. Dabei könnte nun eine andere Art von Kipp-Mechanismen helfen, nämlich Umschwünge im gesellschaftlichen Meinungsbild, wie eine Studie aus dem Potsdam Institut für Klimafolgenforschung zeigt.
Überraschende Wendungen
Dass solche Umschwünge im Meinungsbild möglich sind, ist eine Alltagserfahrung. „Wie eklig war das denn?“ höre ich von meinen Kindern, wenn ich erzähle, dass früher in Restaurants geraucht werden durfte. Und vielleicht kann ich später meinen Enkelkindern einmal erzählen, wie gefährlich früher das Radfahren war, weil Autos durch die Innenstadt brausten. Und dann staunen die Enkel und sagen: „Boah, wie verrückt, und so was war erlaubt?“
Allgemeingüter erhalten
Es war die Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom, die darauf hinwies, dass die „Tragödie der Allmende“ kein Naturgesetz ist, sondern vermeidbar. Viele Gemeinschaften haben gemeinschaftliche Güter geschützt, damit Alle auf Dauer davon profitieren konnten. Ob es die Bewässerung von Reisterrassen war oder die Beweidung von gemeinschaftlichem Land – es gab kluge Regeln (und Sanktionen!), um Übernutzung durch Einzelne zu verhindern.
Solche Regeln und Sanktionen muss auch die Klimapolitik formulieren und durchsetzen. Gesellschaftliche Akteure können die träge Politik voranbringen. Erste Anzeichen, dass in der Wirtschaft ein Umdenken stattfindet, lese ich in den Zeitungen. So kündigt die Fondsgesellschaft Blackrock an, dass sie sich von Wertpapieren aus der Kohleproduktion trennen wird – nicht aus moralischen Gründen, sondern weil diese nicht mehr zukunftsfähig sind.
Gesellschaftliche Kipp-Elemente
Wissenschaftler*innen aus dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung haben solche gesellschaftlichen Stimmungswechsel nun unter die Lupe genommen. Durch Befragung von rund 1000 Expertinnen und Experten, Workshops und einer Sichtung der Studienlage haben sie sechs Aktionsfelder identifiziert, die Klimagasemissionen sehr rasch senken könnten.
So könnten Subventionen für fossile Energien gestrichen werden. Denn dann wird die Energieversorgung sehr rasch auf dezentrale und erneuerbare Energiequellen umgestellt. Solaranlagen liefern inzwischen genauso günstig Strom wie die günstigsten fossil befeuerten Kraftwerke (deren Folgekosten nicht eingepreist sind).
Große Chancen liegen auch im Umbau von Städten hin zu klimaneutralen Zentren. Einige Städte in Deutschland haben bereits den Klimanotstand erklärt. Dieser Prozess könnte sich beschleunigen, wenn Menschen erleben, dass “grünere” Städte menschenfreundlicher sind.
Sehr rasch sollte auch das “Divestment” wirken – also das Abziehen von Investitionen aus der fossilen Industrie, ein Prozess, der nun an den globalen Finanzmärkten (siehe Blackrock) schon begonnen hat. Und natürlich spielen Bildung, leicht verständliche Informationen über die Klimawirkungen von Produkten und Optionen sowie das bürgerschaftliche Engagement ebenfalls eine Rolle – hier sehen die Autorinnen und Autoren jedoch eher langfristige Auswirkungen, denn Werte und Normen verändern sich oft nur langsam, von einer Generation zur Nächsten.
Neuer Schwung durch Fridays for Future
Die Fridays for Future Bewegung hat diesen Wandel endlich konkret angestoßen. Die sachlichen Warnungen aus der Wissenschaft allein hatten nicht viel bewegen können, das haben die letzten 30 Jahre leider gezeigt. Emotionen sind es, die zum Handeln motivieren.
Quellen und Links:
- Nature, 27. November 2019: Climate tipping points — too risky to bet against.
- PIK-Studie zu den gesellschaftlichen Kipp-Punkten. (Pressemeldung)
- Originalpublikation des PIK zu den Kipp-Punkten: Social tipping dynamics for stabilizing Earth’s climate by 2050, PNAS, 2020