Christiane Becker forscht daran, wie Solarzellen noch mehr Licht einfangen können
Gastbeitrag von Kilian Kirchgessner
Um ein Haar hätte sie sich damals nach dem Abitur für ein Musikstudium entschieden: Mit ihrem Cello war Christiane Becker bei Jugend-Musiziert-Wettbewerben erfolgreich, bis zur Konservatoriums-Reife hatte sie sich gespielt. „Am Schluss hat dann aber doch das Physikstudium gewonnen“, sagt Becker im Rückblick – und schmunzelt, wenn sie den großen Vorzug der Naturwissenschaften benennt: „Physik kann man auch betreiben, wenn man unter Stress steht oder schlechte Laune hat.“
Grund zur schlechten Laune hat Christiane Becker allerdings derzeit nur selten: Am HZB leitet sie die Nachwuchsgruppe Nano-SIPPE, die in den fünf Jahren seit ihrer Gründung gewaltige Fortschritte verbuchen kann. „Nanostrukturen aus Silizium für Photonische und Photovoltaische Anwendungen“ bedeutet das Akronym. Becker schaut aus dem Fenster ihres Büros, das im Gebäude gegenüber der HZB-Zentrale in Adlershof liegt. „Wir sind ständig im ganzen Wissenschaftsquartier hier unterwegs“, sagt sie – im Reinraum auf der anderen Straßenseite zum Beispiel oder bei optischen Versuchsaufbauten, die sich auf drei weitere Gebäude verteilen.
Auf die Oberflächen kommt es an
Der praktische Anteil ihrer Arbeit, der dort stattfindet, ist der 41-jährigen Wissenschaftlerin besonders wichtig – und er gehört auch zu den elementaren Aufgaben ihrer Gruppe, die nah an der konkreten Anwendung forscht. Christiane Becker holt aus ihrer Schreibtischschublade eine hauchfeine Glasplatte hervor, so groß wie ein Notizzettel, und hält sie mit zwei Fingern gegen ihr Bürofenster. Im Licht schillert das beschichtete Glas in verschiedenen Farben. „Diese Beschichtung auf dem Glas“, sagt sie, „ist das, woran wir hier arbeiten.“
Nanostrukturen fangen das Licht
Wenn in den Solarzellen der Zukunft das Sonnenlicht besser in Strom umgewandelt werden soll als heute, spielen optische Tricks wie Beschichtungen dabei eine tragende Rolle – und genau dieser Bereich, der als Lichtmanagement bezeichnet wird, ist das Feld von Christiane Becker. Mit ihren Worten ausgedrückt: „Wir texturieren den Absorber und erhöhen damit die Absorption.“ Das bedeutet: Die Beschichtung, die sie auf das Glas aufbringt, bekommt eine winzige Struktur. Im Nanometer-Abstand sind feinste Erhebungen auf der Beschichtung, die zum einen den Lichteinfall erhöhen und zum anderen das Licht wie in einem Brennglas lokal konzentrieren. Und noch ein Effekt ist denkbar: Die Beschichtung kann die Wellenlänge des Lichts ändern, so dass die Solarzelle etwa auch Licht im UV- und Infrarotbereich in Strom umwandelt – diese Bereiche des einfallenden Tageslichts bleiben bei bisherigen Solarzellen ungenutzt.
Eine Tätigkeit mit Sinn
„Mich hat das Thema der erneuerbaren Energien gleich begeistert, als ich zum ersten Mal damit in Kontakt kam“, sagt Christiane Becker. Recht spät in ihrer akademischen Laufbahn war das: Während der Promotion in Karlsruhe fuhr sie zur Jahrestagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft nach Berlin und schaute aus purer Neugier in eine Diskussion zur erneuerbaren Energie rein. „Da ging es gerade um Halbleiter, und ich dachte: Das wäre doch ein spannendes Feld, um meine Kenntnisse anzuwenden!“ Für Becker kam die Entdeckung gerade zur richtigen Zeit: Damals haderte sie mit ihrem Studium, sie suchte nach einer sinnvollen Anwendung für ihr Wissen – eine Sinnkrise, bei der sie sogar überlegte, die Promotion an den Nagel zu hängen.
Wenn sie heute daran denkt, fällt ihr ein Gleichnis ein. „Drei Steinmetze arbeiten auf den Gassen einer Stadt, und auf die Frage, was sie denn da tun, sagt der erste: ‚Ich behaue Steine’. Der zweite antwortet: ‚Ich arbeite, um meine Familie zu ernähren.’ Und der Dritte sagt mit leuchtenden Augen: ‚Ich baue am Kölner Dom mit!’“ Diese leuchtenden Augen bekommt auch Christiane Becker, wenn sie an ihre Arbeit denkt: Zwar gebe es im Alltag jede Menge Routineaufgaben – „aber über allem schwebt am HZB dieser Spirit, dass wir an den erneuerbaren Energien der Zukunft mitarbeiten, und das ist ungemein beflügelnd.“ Seit sie das Themenfeld für sich entdeckt hat, geht es mit ihrer Forschung rasch voran: 2006 schloss sie ihre Promotion ab, 2007 begann sie als Post-Doc am HZB, 2012 baute sie ihre eigene Nachwuchsgruppe auf. Seit 2014 ist sie zudem Professorin an der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft.
Wissen soll in die Anwendung – Technologietransfer
Die Aufgabe, an der sie mit ihrem Team derzeit tüftelt, ist die Umsetzung ihrer Erkenntnisse in eine industrielle Produktion. Die Abläufe dazu stehen schon fest: „Wir überziehen das Glas mit einem sogenannten Sol-Gel“, erklärt Becker. Die Nano-Strukturen werden dann mit einer Art Stempel in das Gel gedrückt, das anschließend ausgehärtet wird. „Das ist ein Verfahren, das sich schon auf vergleichsweise großen Glasflächen anwenden lässt“, sagt Becker. Der Teufel indes steckt im Detail: Solarzellen sind opto-elektronische Bauteile – und eine Verbesserung im Bereich der Optik kann die Elektronik beschädigen. Für klassische Silizium-Solarzellen hat Beckers Gruppe bereits die richtigen Materialien und Prozesse gefunden; als nächstes betrachten sie jetzt Tandem-Solarzellen, in denen neben Silizium auch Perowskite verbaut sind, um auch bei ihnen die Effizienz zu steigern.
Und der eigene Nachwuchs? Experimentiert ebenfalls
Mit den Experimenten hört Christiane Becker auch nicht auf, wenn sie nach Hause kommt: Ihre beiden Kinder, neun und zwei Jahre alt, sind neugierig auf alle Entdeckungen. „Neulich haben wir eine Rakete gebaut, die über ein Luftkissen gestartet wird“, sagt sie. Bei ihr selbst führte der Weg in die Naturwissenschaften über ähnliche Projekte: „Als ich drei Jahre alt war, wollte meine Mutter mit mir einen Kuchen backen. Aber statt mich auf den Teig zu konzentrieren, wollte ich die kaputte Uhr am Backofen reparieren.“
Diese Begeisterung will sie auch ihren Studenten vermitteln. Einige von ihnen führt sie schon früh an die Forschung heran: „Morgen kommt einer hier am HZB vorbei, der erst im Bachelor-Studium ist“, sagt Becker. Wenn alles klappt, fängt er bald bei ihr im Labor als studentische Hilfskraft an. „In der frühen Phase des Studiums erledigt er bei uns sicher eher technologische Arbeiten, macht also zum Beispiel Nano-Imprints im Reinraum.“ Aber immerhin: Vielleicht weckt Christiane Becker so beim Nachwuchs schon früh die Begeisterung für ihr großes Thema, das sie selbst erst spät für sich entdeckte.