
Ein Gastbeitrag von Alicja Górkiewicz (SOLARIS), Antje Vollmer und Beatrix-Kamelia Seidlhofer (beide BESSYII/HZB)
Wünschst du dir manchmal eine große Schwester? Eine Schwester, die bereits die Schlachten mit den Eltern ausgetragen hat? Und wie ist es, immer die kleine Schwester zu sein, auf die alle herabblicken? Die Kolleginnen der Nutzerkoordination von BESSY II und SOLARIS beschreiben augenzwinkernd, wie es ist, in einer großen Familie zu leben.
BESSY II, die große Schwester:
„Eigentlich sind wir ja gar nicht so verschieden. Einige Lichtquellen haben schon einige Jahre Erfahrungen gesammelt. Andere Quellen in Europa sind noch jung – und sie werden ihren eigenen Weg gehen. Trotzdem ist es vielleicht manchmal nicht die schlechteste Idee, sich um umzuschauen, was die älteren Geschwister machen.
Unsere Erfahrung geht auf das erste Synchrotron BESSY I zurück, das in den 1980er Jahren seinen Betrieb aufnahm. Heute bietet BESSY II vielen internationalen Forscherinnen und Forschern eine sehr gute Infrastruktur und wir begrüßen mehr als 3000 Gäste pro Jahr an unseren 38 Beamlines.
600 Anträge, 400 Zeitfenster, 60 Gutachter
Tatsächlich gibt es nie genügend Strahlzeit, um der Nachfrage gerecht zu werden, an keiner der Lichtquellen in Europa. Daher muss eine Auswahl getroffen werden, die ausschließlich auf der wissenschaftlichen Güte des vorgeschlagenen Experiments basiert. Dies geschieht bei uns durch ein internationales Gutachter-Gremium, das Scientific Selection Panel. Das Verfahren ist recht komplex, angefangen bei der Auswahl der Gutachter, der Organisation des Review-Prozesses, der Durchführung der Panelsitzungen, der Sammlung der Ergebnisse bis hin zur Erstellung eines Strahlzeitkalenders. 600 Messzeit-Anträge, 60 Gutachter, 400 Strahlzeitfenster – all das muss zweimal im Jahr organisiert werden!
Wir als große Schwester waren natürlich hocherfreut, als das jüngste Geschwisterkind, die Lichtquelle SOLARIS in Polen, mit zur Party kam. Solaris nahm 2018 den Betrieb mit zwei Strahlrohren auf und wächst seitdem. Also warum nicht die guten Dinge kopieren und die anderen einfach besser machen?

Eine Einladung an die kleine Schwester
Den Austausch zwischen den Synchrotron-Geschwistern fördert das EU-Projekt CALIPSOplus. Dadurch konnten wir die Kollegin für die Nutzerkoordination von Solaris, Alicja Górkiewicz, einladen, uns im Oktober 2018 zu besuchen. Sie konnte dabei am Scientific Selection Panel Meeting (SSP) teilnehmen, das zu dieser Zeit an BESSY II tagte.
Gemeinsam diskutierten wir über die Prozesse des Panels, über unsere Rolle als Nutzerkoordination, die Aufgaben – und was uns daran Spaß macht. Während des eineinhalbtägigen SSP nahm Alicja am allgemeinen Teil und den „social events“ teil. Sie nahm auch an einer Sitzung teil, bei der die Anträge für die Strahlzeit diskutiert und bewertet wurden. Es gibt acht Auswahlsitzungen zu verschiedenen wissenschaftlichen Themenfeldern, in denen intensive Diskussionen über jeden einzelnen Antrag geführt werden. Dadurch bekam Alicja die Möglichkeit, die Diskussionen und Protokollierung der Ergebnisse zu verfolgen und sich mit dem gesamten Ablauf des Antragsverfahrens vertraut zu machen.
Die Arbeit der Gutachter ist ehrenamtlich
Neben dem Sammeln von Erfahrungen und dem “Learning by Doing” spielt auch das Networking eine wichtige Rolle. Die wunderbare Nachricht ist, dass sich einige unserer Gutachter bereiterklärten, auch bei Solaris in einem Auswahl-Panel mitzuwirken. Dazu muss man wissen, dass die Arbeit der Gutachter ehrenamtlich und unbezahlt ist!
Ein zweites tolles Ergebnis unseres Austauschs ist es, dass wir noch intensiver zusammenarbeiten wollen. Wir freuen uns auf den Gegenbesuch bei Solaris, der in wenigen Wochen stattfinden wird. Dabei wollen wir gemeinsam mit IT-Mitarbeitern und Programmierern diskutieren, wie die Administration der Prozesse in der Nutzerkoordination funktioniert und wie sich die Prozesse programmiertechnisch realisieren lassen.
Nun, manchmal ist die große Schwester neidisch; aber noch mehr sind wir stolz auf unsere kleine Schwester – darauf, dass sie unsere langjährige Erfahrung nutzen kann, um ihren eigenen Weg zu finden – und sie es noch besser machen wird, als wir selbst!“
Dazu meint SOLARIS, die kleine Schwester:
„Solaris ist das jüngste Synchrotron in Europa. Man kann sich leicht vorstellen, wie schwer es am Anfang war, als die erwachsenen Synchrotrons auf uns herabblickten und uns etwas despektierlich betrachteten. Und es ist nicht so einfach zu beweisen, dass wir auch erwachsen werden können, vor allem weil wir nur mit zwei Beamlines gestartet sind.

Aber wir hatten zum Glück einen älteren Bruder: Max IV aus Lund, Schweden. Er hat uns von Anfang an beigebracht, wie man mit unserem neuen „Spielzeug“ spielt, das wir 2015 in Polen aufgebaut haben.
Privilegien für das jüngste Familienmitglied
Als jüngstes Geschwisterkind hat man wertvolle Privilegien: Man kann Fragen über grundlegende Dinge stellen und die Erwachsenen versuchen, einen nicht auszulachen und das Problem geduldig zu erklären. Ich muss gestehen, dass ich mich ein wenig verloren fühlte, als ich 2017 begann, das Projekt zur Einrichtung eines Nutzerbüros am ersten polnischen Synchrotron zu leiten. Aber als jüngstes Familienmitglied bekommt man viel Netzschutz und Hilfe von den anderen.
CALIPSOplus-Programm ist ein echter Meilenstein
Nicht nur unser Synchrotron wurde neu entwickelt; auch alle Verfahren zur Beantragung der Strahlzeit bei SOLARIS mussten kompatibel und an die neue Forschungsinfrastruktur angepasst werden. Auch in diesem Fall war der Austausch mit den älteren Geschwistern unbezahlbar. Die Teilnahme am CALIPSOplus-Programm war ein echter Meilenstein für SOLARIS. Ich erhielt viele Ratschläge, Vorlagen für nützliche Dokumente und Unterstützung. Wenn ich an all die Menschen aus ganz Europa denke, die beim Projekt CALIPSOplus zusammenarbeiten, habe ich das Gefühl, dass wir tatsächlich alle Kollegen sind.
Dank CALIPSOplus hatte ich die Möglichkeit, BESSY II, unsere große Schwester aus Berlin, zu besuchen. Ich hatte das Glück, während des Treffens des Scientific Selection Panel (SSP) im Oktober 2018 dorthin zu kommen. Ich durfte nicht nur mit den Leuten aus dem User Office sprechen, sondern auch mit den Teilnehmern des SSP, die sehr erfahrene und zum Glück auch sehr gesprächige Wissenschaftler sind, die selbst mit Synchrotronstrahlung arbeiten. Dadurch habe ich auch gelernt, welches die Grundbedürfnisse eines Nutzers sind, der an ein Synchrotron kommt.
Eine Gegeneinladung nach Krakau
Besonders beeindruckt hat mich die Software, die bei BESSY II eingesetzt wird: das GATE-System. Nutzer können nicht nur ihre Anträge über das System einreichen. Mit GATE lässt sich auch der gesamte Auswahlprozess steuern, es lassen sich Ergebnisse einpflegen und Strahlzeit-Kalender für jede Beamline erstellen. Nutzer von BESSY II bestätigen, dass das GATE-System eine der besten Online-Plattformen für Synchrotron-Nutzer ist.
Bei SOLARIS haben wir auch ein ähnliches Spielzeug namens DUO (Digital User Office), das aber nicht so viele Funktionen wie GATE hat. Ehrlich gesagt: Ich finde es etwas unfair, dass ausgerecht die älteren Geschwister immer das beste Spielzeug haben! Doch dann hatte ich eine Idee: Ich habe einfach die IT-Spezialisten, die dieses tolle Tool programmiert haben, zu SOLARIS eingeladen. Sie werden zu uns nach Krakau kommen und uns beraten, wie wir unser Programm verbessern können.
Wir sind eine großartige Familie
Die europäischen Synchrotrons sind eine wirklich großartige Familie, sie unterstützen und helfen sich gegenseitig. Klar, manchmal gibt es Streitigkeiten und Missverständnisse, wie in jeder normalen Familie. Aber das Wichtigste ist doch, dass wir alle bereit sind zu lernen, wie wir zum Wohle der Wissenschaft noch intensiver zusammenarbeiten können.”
CALIPSOplus Staff Exchange Programme
Die EU fördert den Austausch unter den europäischen Synchrotrons. Der Bericht wurde zuerst veröffentlicht unter: https://www.calipsoplus.eu/2019/04/15/calipsoplus-staff-exchange-programme-bessy-the-big-sister-solaris-the-little-sister/