
Text und Fotos von Swantje Furtak
Dienstagmorgen im Schülerlabor des Helmholtz-Zentrums Berlin: Kinder wuseln durch die Gegend und breiten einen bunten Geräuschteppich aus. An den Tischen stehen Studenten, die heute mit den elf- bis zwölfjährigen Schülerinnen und Schülern experimentieren wollen. Doch diese entdecken erstmal jede Ecke des Labors. Ich setze mich an eine der vier Stationen und warte. Punkt 11 Uhr beginnt der Projekttag „Licht und Farbe“, den eine 6. Klasse aus Kladow im Schülerlabor gebucht hat.
STATION 1
Eine große Schale, Plastikbestandteile des Auges, ein paar Stellfüße
„Jetzt geht es ums Auge“, sagt ein Student und erklärt kurz die einzelnen Plastikteile vor uns. Wir dürfen ein Auge zusammenbauen, vielleicht
kommt die dunkle schwarze Platte hier vorne rein? „Kann mir vielleicht jemand sagen, warum wir diesen dicken, runden Glaskörper haben“, fragt er in die Runde. Finn neben mir spricht einfach los, ohne sich zu melden. „Naja, irgendwas muss ja im Auge drin sein.“ Die Gruppe nickt. Ich blicke erstaunt. Sagt man nicht Stützfunktion? Anscheinend nicht. Der Student nickt lobend: „Genau! So könnte man es sagen: irgendetwas muss das Auge ja ausfüllen.“
Vielleicht müssen Erklärungen manchmal gar nicht so schwer sein, Antworten nicht den Lehrbuchtexten entsprechen. Wachsen, wenn man groß wird, nicht nur die Körper, sondern auch die Worte im Mund zu langen, faltigen Wesen heran? Meine Gruppe springt auf. Wir wechseln zum nächsten Tisch.
STATION 2
Ein Stapel Pappe, bunte Stifte, Cuttermesser

Wir sind an der Bastelstation. Die Kinder sollen ein Pappspektroskop basteln. Als mir ein Cuttermesser gereicht wird, schüttle ich den Kopf. Damit es zu Hause einstaubt? Ich unterhalte mich stattdessen mit der betreuenden Lehramtsstudentin. Während sie einem Mädchen beim Ausschneiden hilft, erzählt sie von ihrem Studium. „Verstellen sollte man sich in dem Beruf nicht. Vor allem als Lehrer ist es wichtig, man selbst zu sein. Kinder merken das sonst sehr schnell“.
Eine junge Stimme von rechts bestätigt: „Kinder sind schließlich nicht dumm“. Das kleine Mädchen mit dem langen, braunen Zopf, das die ganze Zeit still gearbeitet hat, hat uns zugehört. Sie ist fertig mit ihrem Spektroskop und rennt damit zum Fenster. Juchzt laut auf. Jetzt möchte ich doch hindurch blicken. Man kann das Farbspektrum der Sonne sehen – blau, grün, gelb, rot. Faszinierend.
Ein wenig bereue ich es, das Cuttermesser abgelehnt zu haben.
STATION 3
Geschlossene Rollläden, vor jedem Platz drei Taschenlampen, ein blauleuchtender Computerbildschirm.
„Spooky.“ Nur die Stimme des Studenten steht in der Dunkelheit. „Vor euch liegen drei Taschenlampen, mit drei Farben. Wenn ihr diese jetzt…“ Die ersten Taschenlampen gehen an, ohne dass wir überhaupt wissen, was zu
tun wäre. Der Student hält kurz inne, entscheidet sich dann, einfach weiter zu reden: „Ihr könnt mit diesen drei Farben alle anderen mischen“. Sein „Probiert es aus“ hätte er gar nicht mehr sagen müssen. Lichter tanzen wild durch den Raum; kleine Quadrate in bunten Schemen. Aufgeregte Worte, man hätte nun Grün oder Lila gefunden. Die Kinder werfen den Schein auf andere Oberflächen, Ecken, die Rollläden. Mittlerweile ist die eigentliche Aufgabe längst vergessen.
Wir entdecken, weil es Spaß macht.
STATION 4
Farbflecken, Reagenzgläser, eine aufgebrauchte Packung Feuchttücher.
Wir wechseln die Station. „Könnt ihr euch noch an den Versuch erinnern, als ihr die Lichter gemischt habt und sie zusammen weiß ergeben haben? Hier werden wir nun brau…“ Ein Finger schnippt in die Höhe. „Ja?“ „Dürfen wir jetzt die Kittel anziehen?“ Es ist das Wichtigste für den Moment, die Kittel anzuziehen, die Reagenzgläser in die Hand zu nehmen, sich die Brillen von der Nase rutschen zu lassen, nur um sie wieder wichtigtuerisch darauf zu schieben. Also der Traum, ein richtiger Forscher zu sein.
Es geht um das Mischen von Druckerfarben. Im Reagenzglas mischen die Kinder die Druckergrundfarben gelb, magenta und cyan: zwei zusammen ergeben rot, blau oder grün – und alle zusammen sehen schwarz aus. Das ist ganz anders als beim Lichtmischen, wo es immer heller wird und alle Farben zusammen weiß ergeben.
Der Projekttag geht zu Ende, alle springen auf. Der Geräuschteppich breitet sich wieder aus. Ich richte mich langsam auf, beobachte, wie die Kinder nach ihren Jacken greifen und über die Schulter die Versuche auswerten. Mit meinem Block in der Hand trete ich einen Schritt näher. Ich werfe einen langen Blick auf die Liste ihrer Aussagen. Dann rahme ich sie ein und setze eine neue Überschrift darunter:
„Was ich im Schülerlabor gelernt habe“
- Wissen ist nicht kompliziert, man kann es nur kompliziert ausdrücken.
- Dumm ist es zu denken, dein Gegenüber wäre es.
- Wer spielend forscht, kann Neues finden.
- Wissenschaftler sehen cool aus.
Als ich wieder aufschaue ist, die Klasse verschwunden, die Studenten streifen zügig durch den Raum, um die Utensilien wegzuräumen. Ich lächle kurz in mich hinein und schreibe einen allerletzten Punkt auf meinen Block. „Die Welt sieht anders aus, wenn man sie aus den Augen eines Kindes betrachtet.“