Von Rafael Moczalla
Der 12.09.2017 ist ein wechselhafter Tag. Ich bin einer von drei Studenten der Humboldt-Universität zu Berlin. Im Rahmen des Seminars „Theorie- und Praxis der Wissenschaftskommunikation“ unternehmen wir eine Exkursion zur schnellsten Rennbahn Berlins.
13:00 Uhr: Vorabinfos
Zusammen essen wir in der Mensa Oase in Berlin-Adlershof. Anschließend machen wir uns auf den Weg zum Teilchenbeschleuniger BESSY II. Er liegt genau um die Ecke und gehört zum Helmholtz-Zentrum Berlin (HZB). BESSY II wurde 1998 erstmals in Betrieb genommen. Zu dieser Zeit existierte das HZB nicht. Erst 2009 fusionierten die Forschungszentren HMI und BESSY zum HZB.
Einige Tage zuvor informierte ich mich auf der Website des HZB. Ich stellte fest, dass BESSY II eine andere Funktion hat als der Teilchenbeschleuniger CERN in der Schweiz. Während im CERN verschiedene Arten von Teilchen aufeinander geschossen werden, ist BESSY II eine Synchrotronstrahlungsquelle dritter Generation. Das bedeutet, dass in BESSY II Elektronen beschleunigt werden, um Synchrotronstrahlung zu erzeugen. Damit lassen sich Moleküle, Atome und sogar Elektronen abbilden und Untersuchungen mit höchster Auflösung durchführen. An BESSY II interessiert mich der genaue Aufbau, die Umsetzung aus der Sicht eines Informatikers und was mit den Elektronen passiert, wenn der Teilchenbeschleuniger ausgeschaltet wird.
13:28 Uhr: Es geht los
Zwei Minuten vor dem verabredeten Termin erscheinen wir vor der großen Glasfront der Eingangshalle, welche die weit größere Experimentierhalle von BESSY II mit dem Bürogebäude des HZB verbindet.
Freundlich werden wir an der Pforte vom Sicherheitspersonal empfangen. Kurz darauf erscheint gut gelaunt und etwas erkältet Katharina Kolatzki. Sie ist seit 2013 studentische Hilfskraft im HZB und lädt uns in den anliegenden Hörsaal des HZB Gebäudes ein. Katharina Kolatzki trägt eine Präsentation über BESSY II und das HZB vor.
BESSY II liefert Photonen für die Forschung. Der Vorgänger von BESSY II hieß einfach BESSY und stand in Berlin-Wilmersdorf. Einige Teile von BESSY befinden sich heute in Jordanien im Teilchenbeschleuniger SESAME. Das HZB wird mit jährlich ca 140 Mio. Euro von Bund und der Stadt Berlin finanziert. Im HZB sind rund 1100 Mitarbeiter, davon 400 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, angestellt.
14:00 Uhr: Im Kontrollraum
Wir erhalten aus Sicherheitsgründen ein Dosimeter und begeben uns auf den Rundgang durch die Experimentierhalle von BESSY II. Das Dosimeter, eine kleine Schachtel, misst die Strahlung. Unser erster Halt ist der Kontrollraum, wo sich die Schaltzentrale für BESSY II befindet. Vor einer Wand mit acht großformatigen Bildschirmen, die Statusinformationen anzeigen, sind Schreibtische mit Monitoren aufgereiht. Das Hintergrundbild der Bildschirme enthält das Debian Logo: Das ganze Kontrollsystem von BESSY II ist selbst programmiert. Für eine solche fortschrittliche Anlage muss Software maßgeschneidert werden. Vor den Monitoren sitzen zahlreiche Forscher und blicken gebannt auf die Monitore. „Ein seltenes Bild.“ sagt Dr. Antonia Rötger, die aus dem Kommunikationsteam des HZB dazugekommen ist, denn eigentlich läuft alles automatisch. Im Rücken der HZB-Wissenschaftler befindet sich eine lange Glasfront. Sie trennt die kreisrunde Experimentierhalle vom Kontrollraum.
In der Experimentierhalle:
Wir betreten die Experimentierhalle und erblicken ein Wirrwarr aus Geräten, Kabeln und Rohren. Die Arbeitsbereiche und die tangential vom Speicherring abgehenden Strahlrohre sind kaum zu erkennen. Dort wo ein Arbeitsraum aufhört grenzt bereits bündig der nächste an. Vakuumpumpen erfüllen den Raum mit rhythmischem Rauschen. Die Lichtrohre des Teilchenbeschleunigers sowie einige Geräteteile in den Experimentierbereichen sind mit besonders dicker Alufolie umwickelt. Die Rohre werden gewärmt, um ein gleichmäßiges Vakuum zu erzeugen. Durch das Erwärmen können die Gase aus den kleinsten Winkeln leichter abgepumpt werden. Die Folie isoliert dabei die Rohre.
Vom Leben eines Elektrons:
Das Leben eines Elektrons in BESSY II beginnt in der Elektronenkanone. Dort werden die Elektronen freigesetzt und in den Vorbeschleunigerring, das Synchrotron, eingeleitet. Das Synchrotron hat einen Umfang von 96 Metern und beschleunigt die Elektronen auf nahezu Lichtgeschwindigkeit, bis sie in den Speicherring eingeleitet werden. Damit haben die Elektronen eine Energie von 1,7 Milliarden Elektronenvolt.
Der Speicherring: Kein Kreis, sondern ein Vieleck
Der Speicherring hat einen Umfang von 240 Metern und ist genau genommen kein Kreis, sondern ein 32-Eck. Mit Undulatormagneten und magnetischen Dipolen werden die Elektronen dazu gebracht, das so genannte Synchrotronlicht abzugeben, tangential zu ihrer Laufbahn, in die Strahlrohre hinein. Dieses Licht im Röntgenbereich ist stärker gebündelt als ein Laser. In den Beamlines wird das Licht durch ein System aus Spiegeln und einem Monochromator auf die Probe gelenkt. Dabei erfassen Detektoren das Licht, das aus der Probe wieder herauskommt.
Computer überall
Die Experimentiersteuerung sowie die Datenerfassung und Verarbeitung wird mit Computern durchgeführt. Auch der Monochromator ist computergesteuert. Er ist für das Filtern des Strahlenspektrums verantwortlich. Von der Elektronenkanone bis zur Probenbestrahlung ist das System im Vakuum.
Wenn der Speicherring ausgeschaltet wird, werden die Elektronen gebremst und in die Wand geleitet. Ab 2019 wird die bei der Entschleunigung bis dato ungenutzte Energie für die Beschleunigung der neuen Elektronen genutzt. Dafür wurde 2010 das Beschleunigerprojekt Berlin Energy Recovery Linac Prototype, kurz bERLin-Pro, ins Leben gerufen.
Katharina Kolatzki führt uns einmal im Kreis durch die gesamte Halle. Dabei fallen uns einige Roller auf. Die Mitarbeiter und Forscher benutzen sie, um sich schneller durch die Halle zu bewegen.
Halbleiterdünnschichten und Kulturschätze
Die Experimentierhalle ist in Arbeitsbereiche unterteilt. Die Forschungsteams untersuchen an den Beamlines ganz unterschiedliche Proben mit dem Synchrotronlicht, zum Beispiel Solarzellen und andere Halbleiterproben. Dabei ziehen sie Rückschlüsse auf den inneren Aufbau dieser Proben. Ein Beispiel ist die Himmelsscheibe von Nebra, die Sonne, Mond und Sterne aus unterschiedlichen Goldlegierungen enthält. Die Analysen zeigten, dass das Gold der Scheibe von Nebra aus unterschiedlichen europäischen Ländern stammt.
Tankstellen für flüssigen Stickstoff und Helium
Wir halten an einem großen Tor. Über diesen Zugang der Halle werden Experimentieraufbauten angeliefert und wieder abtransportiert. Direkt am Hallentor befindet sich eine Tankstelle für Stickstoff und Helium. Diese Gase werden für das Abkühlen der Instrumente und Proben verwendet. Forscher, die ihre Arbeit in Fachjournalen veröffentlichen, erhalten nicht nur kostenfrei Zugang zu BESSY II sondern auch Stickstoff und Helium.
Um große Gewichte durch die Halle zu transportieren gibt es zwei Kräne. Diese hängen radial von der Decke und können jeden Punkt in der Experimentierhalle erreichen. Sie werden zum Beispiel benötigt, um schwere Experimentieraufbauten punktgenau an ihren Einsatzorten zu platzieren. Die Experimentierstationen sind tangential zum Speicherring angeordnet.
15:00 Uhr: Kaffee mit Blick in die Zukunft
Wir verlassen die Experimentierhalle von BESSY II und verabschieden uns von Katharina Kolatzki. Die Cafeteria befindet sich direkt neben dem Kontrollraum. Zusammen mit Antonia Rötger trinken wir eine Tasse Kaffee. Sie sagt uns, dass bei BESSY II vieles „handgestrickt“ ist. Es wird Software betrieben, die alt ist und noch von inzwischen emeritierten Forschern selbst geschrieben wurde. Für die Wartung der Software werden Informatiker gesucht.
Neben weiteren Projekten für die Aufrüstung von BESSY II denken die HZB-Forscher schon an ein Nachfolgegerät BESSY III, das ab etwa 2025 konkret werden könnte. BESSY III soll ein innovativer Teilchenbeschleuniger werden, der Synchrotronstrahlung auf ein neues Level heben soll. Wie genau BESSY III aussehen wird steht noch in den Sternen. Auch der zukünftige Standort ist noch ungewiss. Möglicherweise kommt der Campus in Berlin-Wannsee in Frage, da der Forschungsreaktor des HZB bis dahin längst geschlossen ist. Aber auch das Gelände des aktuellen Flughafen Tegel wäre ein potentieller Standort.
16:00 Uhr: Der Besuch bei BESSY II endet.
Meine Fragen über BESSY II wurden beantwortet. Aus Sicht eines Informatikers ist die Software von BESSY II alt, jedoch funktioniert sie und bedarf nur etwas Liebe sowie Wartung. Und die goldene Regel der Informatiker besagt ja: „Never change a running system!“ Aber BESSY III bietet neue Möglichkeiten für aktuellere Softwarekonzepte.