Mehrmals wöchentlich nehmen Gruppen an Führungen durch die Experimentierhalle von BESSY II teil. Antonia Sladek, Studentin der Europäischen Ethnologie an der HU Berlin, hat mit einem Seminar zur Wissenschaftskommunikation eine Führung mitgemacht und schildert ihre persönlichen Eindrücke.
Zeigen uns Photonen den Weg in die Nachhaltigkeit?
Wir machen uns auf den Weg zum Helmholtz-Zentrum Berlin (HZB), Standort Albert-Einstein-Straße. Die saubere, schmale Asphaltstraße zwischen modernen Neubauten ist auf den ersten Blick kaum von ihren Nebenstraßen zu unterscheiden. Nur ihr prominenter Namenspate weist darauf hin, dass uns hier eine Attraktion der internationalen Forschungslandschaft erwartet: BESSY II. Jährlich kommen 3000 Forschende aus der ganzen Welt hierher, um mithilfe dieser sehr präzisen Lichtmaschine Materialien verschiedenster Art zu durchleuchten. Exakter als jedes Mikroskop fühlt BESSY den Materialproben auf den Zahn – von sehr alten archäologischen und geologischen Funden bis hin zu den Stoffen der Zukunft, die gerade erst entwickelt und getestet werden.
Zu diesen Zukunftstechnologien gehören unter anderem effizientere Solarzellen, neue Supraleiter oder Materialien, die die Speicherung von Sonnenenergie ermöglichen. Deutschland ist dabei, seine Klimaziele für 2050 zu verfehlen – und der Hunger nach technologischen Lösungen ist dementsprechend groß. Finden wir hier, im Helmholtz-Zentrum für Materialien und Energie, Antworten?
Futuristische Architektur
Die kreisrunde, silbrig-graue Experimentierhalle wirkt zumindest von außen ziemlich futuristisch. Vorbei an zwei Herren von Securitas gelangen wir in die Eingangshalle des Teilchenbeschleunigers. Vor uns steht ein liebevoll gebasteltes BESSY-Modell: Per Knopfdruck lässt sich eine Simulation starten und blaue Lichter sollen uns den Weg der Elektronen veranschaulichen. Wir sehen, wie sie zunächst in einem inneren Ring beschleunigt werden und dann sehr schnell in der äußeren Röhre kreisen. Auf ihrem Weg durch verschiedene Magnetfelder geben sie Energie in Form von Photonen ab. Diese werden durch weißes Licht dargestellt, das durch dünne Röhren, die „Beamlines“, zu den einzelnen Materialproben geleitet wird.
Katharina erklärt alles
Eine junge Frau mit schulterlangem glatten Haar, in Wolljacke und Turnschuhen begrüßt uns. Katharina Kolatzki, Physikstudentin und Mitarbeiterin des Kommunikationsteams, wird uns zeigen, wie BESSY funktioniert. Seit zwei Jahren führt sie Interessierte durch die Anlage. Wir folgen ihr zuerst einmal in einen Konferenzsaal.
Alle, die schon einmal im kleinen Röntgen-Kämmerlein einer Arztpraxis standen, fragen sich wohl: Warum braucht man dafür einen Elektronenbeschleuniger mit einem Umfang von 240 Metern und dazu noch mehrere Hundert Mitarbeiter_innen? „Die Röntgenstrahlung vom Arzt ist breit gestreut, nicht gerichtet – muss sie auch gar nicht sein“, erklärt Katharina. BESSY ist spezialisiert auf sogenannte weiche Röntgenstrahlung, in einer Form, die „noch viel besser fokussierbar und berechenbar ist als Laserstrahlen.“ Man muss nicht jedes physikalische Gesetz verstehen, um sich von Katharina für BESSY begeistern zu lassen. Mit Körpereinsatz und anschaulichen Beispielen erweckt sie verloren geglaubte Erinnerungen an den Physikunterricht. „Man kann Atome und Moleküle nicht direkt fotografieren. Das ist vielmehr so, als würde man unter einem Baum stehen und nicht heraufkönnen. Wenn man trotzdem wissen will, wie er von oben aussieht, nimmt man einen Stein, wirft ihn hoch und schaut sich an, wie er wieder zurückkommt: Vielleicht wird er von einem dicken Blätterdach abgebremst oder es bleibt etwas an ihm kleben.“
Und dann der Rundgang:
Wir folgen Katharina in die kreisförmige Experimentierhalle. Nach einem Abstecher in den Kontrollraum betreten wir die Halle über eine Empore. Unter uns breitet sich ein undurchschaubares Geflecht von Röhren, Kabeln, Containern, Warnschildern, Signallampen, Treppen und Leitern aus. „In der Realität ist das nicht so schön schematisch aufgebaut“, gibt Katharina lachend zu. Schließt man die Augen, dann erinnert die Wärme, der Geruch, das rhythmische Surren und Schmatzen ungemein an einen großen Copyshop. Das sind die Vakuumpumpen, die eifrig arbeiten, um den Elektronen und Photonen den Weg freizuräumen. Ich stelle mir vor, dass diese monströse Maschine gerade dabei ist, einer Metallplatte im Innern des Speicherrings Milliarden von Elektronen zu entlocken, die für die nächsten zehn Stunden mit nahezu Lichtgeschwindigkeit durch die Röhre sausen. Sie versorgen die 47 Beamlines mit Röntgenwellen – bei einem Energieverbrauch, der sich mit 8.000 Zweipersonenhaushalten vergleichen lässt (2,7 – 5 MW).
Kletternde Forscher
Über eine Wendeltreppe gelangen wir nach unten. Dort sehen wir uns an, was mit den Photonen am Ende der Beamlines passiert. So ein Versuchsaufbau für die winzigen Materialproben kann schon mal mehrere Tonnen wiegen. Ein Forscher im blau-karierten Hemd klettert eine glänzende Metallleiter herauf, um etwas an seinem Experiment zu überprüfen. Ist er ein Physiker, Mediziner oder doch Archäologe? Ist er ein Chemiker, der Katalysatoren erforscht oder entwickelt er die neusten Computerchips? Die Vielfalt der Disziplinen und Fragestellungen ist groß: „Es ist immer wieder spannend, wenn man hier durch die Halle geht“, schwärmt Katharina. „Man sieht neue Projekte, von denen man noch nie was gehört hat.“ Aber alle Experimente haben eins gemeinsam: Was dabei herauskommt, ist eine Festplatte voller Daten, die nur mit Hilfe von Computern interpretiert werden können.
Und mit dem Roller geht es jetzt nicht mehr ganz im Kreis herum
An einem Pfeiler lehnt ein Roller, mit dem man sich hier gern die Wege verkürzt. Bis vor Kurzem konnte man es den Elektronen gleichtun und die ganze Anlage umkreisen. Doch seit 2016 versperrt eine verlängerte Beamline den Weg. Sie führt aus der runden Halle heraus in den neuen Anbau: EMIL (Energy Materials in situ Laboratory). Hier entwickeln Physiker_innen die Photovoltaik der Zukunft. Eine Solarzelle, die ein größeres Spektrum des Sonnenlichts nutzt und aus nachhaltigeren Rohstoffen gebaut ist als vorhandene Anlagen? Die so leicht und beweglich ist, dass ich sie auf meinen Rucksack nähen kann? Katharina erklärt uns, dass man im EMIL die neuen Materialen entwickeln, testen und bearbeiten kann: alles in einem geschlossenen Ultravakuumsystem. „Da wurde einfach ein Loch in die Wand gebohrt?!“, fragt eine Studentin aus unserer Gruppe. Von EMIL sehen wir nämlich nicht viel mehr als die Beamline, die in der Betonwand verschwindet. Erstaunlicherweise sind die Beamlines nicht viel breiter als der Kreis, den man zwischen Daumen und Zeigefinger bilden kann.
Ein persönliches Fazit
Wir verlieren langsam das Gefühl für Raum und Zeit, während wir im Kreis gehen und immer mehr erstaunliche Forschungsprojekte kennenlernen und sind überrascht, als Katharina sagt: „Das war es auch schon fast.“ Wir betreten die Eingangshalle: Zurück in der Gegenwart, Tageslicht, die Luft vielleicht um zwei Grad kühler. Und was nehmen wir mit, worauf dürfen wir hoffen? Der große Einfallsreichtum der Forschenden hat uns begeistert. Doch klar ist, dass auch trotz BESSY die Energiewende nicht gerade mit Lichtgeschwindigkeit auf uns zu kommt. Da wir nicht im Vakuum leben, gibt es nur allzu viele politische, wirtschaftliche und soziale Widerstände, die die Umsetzung der technologischen Visionen abbremst.