Gastbeitrag: Hannes Schlender
Fast alle Vögel sind schon da – eine ornithologische Begehung des Lise-Meitner-Campus
„Der Girlitz klingt wie eine Fahrradkette, die drei Jahre lang kein Öl gesehen hat“, sagt Dr. Ralf Milke: „Den hört man aus dem Vogelkonzert im Frühjahr sofort heraus.“ Milke kartiert für die Berliner Ornithologische Arbeitsgemeinschaft den Girlitz-Bestand in Wannsee südlich der Königstraße. Mitte April hat er angefragt, ob er den Lise-Meitner-Campus begehen darf, um hier nach dem kleinen Finken mit der auffallend gelben Brust Ausschau zu halten: „Nördlich der Königsstraße sind schon zwei Girlitze gesichtet worden, südlich davon noch kein einziger“, sagt er am Telefon: „Vielleicht finde ich ja auf dem HZB-Gelände einen.“
Privates Vergnügen: Vögel beobachten
An einem grau-verhangenen Apriltag startet die kleine Exkursion. Milke wohnt nicht weit entfernt in Kohlhasenbrück. Den Abstecher zum HZB macht er auf dem Weg zu seiner Arbeitsstelle, der Freien Universität. Dort forscht er allerdings nicht über Vögel, denn Milke ist Mineraloge. Die Leidenschaft für die Vogelbeobachtung ist sein Hobby, das er intensiv betreibt: „Ich schaue so gut wie nie Fernsehen. Die Natur bietet ein viel interessanteres Unterhaltungsprogramm.“
Das gilt insbesondere im Frühjahr. Überall zwitschert, piept und trällert es, als wir über den Campus gehen. Gleich an der Eingangspforte wird Milke hellhörig: „Hören Sie den langen Pfeifton, der von `tick, tick, tick´ beendet wird? Das ist ein Gartenrotschwanz. Der kommt nicht so oft vor, in manchen Gegenden Süddeutschlands sogar ausgesprochen selten.“
So geht es weiter: Ein paar Schritte, dann bleibt Milke stehen und erklärt, was er aus dem Stimmendurcheinander gerade herausgehört hat. Dort ein Trauerschnäpper. Hier eine Blaumeise und eine Mönchsgrasmücke. Die farbenfrohen Stieglitze mit ihrem knallig roten Kopf bekommen wir sogar zu Gesicht, als sie zwitschernd durch eine noch lichte Birke flattern.
Einzelne Stimmen aus dem Konzert heraushören
Was ist der Trick, den man beherrschen muss, um so viele Singvögel nur am Gesang zu erkennen, Herr Milke? „Es ist kein Trick, es ist Übung“, sagt der Freizeit-Ornithologe: „Am Anfang müssen Sie mit Leuten rausgehen, die sich gut auskennen und Geduld haben, ihr Wissen zu teilen. Und dann heißt es üben, üben, üben.“ Als Student hat Milke sein Faible für Vögel entdeckt (neben der Liebe zu Pflanzen und dem zur Profession entwickelten Interesse an Gesteinen). Seitdem ist der habilitierte Forscher draußen, wann immer es geht, um zu hören und zu schauen, was in Büschen, auf Bäumen, Äckern und Dachfirsten singt.
Der Lise-Meitner-Campus: Ein Paradies für Vögel
„Der HZB-Campus ist ein idealer Lebensraum für Vögel“, sagt Milke: „Viel Natur, abwechslungsreich, kleinteilig.“ Nach dem Rundgang haben wir knapp 20 Arten auf der Liste – „ganz ordentlich für einen halbstündigen Spaziergang“, meint Milke. Nur der Girlitz, der ist nicht dabei. Milke überrascht es nicht sonderlich: „Der Girlitz ist eher in Kleingärten als in solchen Parks wie dem Lise-Meitner-Campus zu finden.“ Und trotzdem, Mitte Mai ist Milke für eine zweite Begehung wieder vor Ort: „Man kann nie wissen. Vielleicht habe ich dann mehr Glück.“