Viele aus dem HZB dürften ihn noch kennen: Professor Helmut Tributsch hat am damaligen Hahn-Meitner-Institut zwischen 1982 und 2008 die Solarenergieforschung mit aufgebaut, er hat über 450 Veröffentlichungen in renommierten Journalen und mehrere Bücher verfasst. Seit seinem Ruhestand lebt er auf einem Bauernhof in Italien und vertieft sich in Fragen, die ihn seit seiner Studienzeit beschäftigen. Das Gespräch mit dem Physiker führte Antonia Rötger.

Herr Tributsch, in ihrem neuen populärwissenschaftlichen Buch kritisieren Sie, wie die moderne Physik mit dem Begriff der Zeit umgeht. Warum?

Die Physik hat einen fundamentalen Fehler begangen: Sie hat die von uns erlebte, energiegetriebene, irreversible Zeit ignoriert und stattdessen eine künstliche, passive, durch Theorien manipulierbare Uhr-Zeit zum Maß aller Dinge gemacht. In den meisten Gleichungen der Physik kann die Zeit genauso gut vorwärts wie rückwärts laufen. Das ist das grundlegende Problem. Alle natürlichen Abläufe kennen eine Zeitrichtung, die Natur ist nicht reversibel. Unsere Gleichungen aber sind es.

Wie sind Sie zu dieser Auffassung gekommen?

Für mich als Physiker ist es eigentlich logisch: Man muss akzeptieren, dass es eine Zeitrichtung gibt, weil sich die Entropie nur in die Zukunft entwickelt. Schon als Student waren mir die Paradoxien unheimlich, die sowohl in der Quantenphysik als auch in der Relativitätstheorie auftreten. So geht die Quantenphysik mit dem Parameter Zeit so um, dass die Unschärferelation herauskommt, ausgedrückt als Produkt von Energie und Zeit. Das ist für Manches nützlich, aber führt eben auch zu Problemen: man verwendet eine Zeit, die nicht stimmt und eine Energie, die keine Richtung kennt. In der Physik haben wir uns an diese Konzepte gewöhnt, aber ich finde, man sollte weiter nachforschen, was das bedeutet.

Welche Prozesse lassen sich mit einer „natürlichen Zeit“ besser beschreiben?

Ich plädiere für eine natürliche Zeit, in der die Entropie mit drin ist, eine Wirkungszeit sozusagen. Damit kann man umgehen. So habe ich zum Beispiel mit Fachleuten gemeinsam das Phänomen des Wassertransports in sehr hohen Bäumen untersucht. Dies lässt sich mit den herkömmlichen Gleichungen eigentlich nicht erklären, es dürfte gar nicht funktionieren, Wasser gegen die Schwerkraft so hoch zu transportieren – und dennoch gibt es in der Natur Bäume, die über 100 Meter hoch sind und sich mit Wasser versorgen. Wir haben modelliert, wie das funktionieren kann. Es ist ja so, dass die ersten zwei Stunden, nachdem die Sonne aufgeht, gar nichts passiert. Der Baum muss sich erst vorbereiten, und dann geht es plötzlich los. Dieses Modell beruht auf Rückkopplung und ich konnte zeigen, dass diese Rückkopplung genau zur Van der Waals Gleichung führt, die bisher rein empirisch war.

Wie und warum kann eine Wirkungszeit solche Prozesse besser erfassen?

Es geht hier um Rückkopplungen, die in der Natur wichtig sind. Auch in der Katalyseforschung sind rückgekoppelte Prozesse entscheidend. Dazu habe ich auch Arbeiten veröffentlicht, zum Beispiel in Science. Die Natur nutzt Rückkopplung, das heißt, wenn ein Teilchen vom Donor zum Akzeptor geht, beeinflusst dies die Umgebung. In der quantenphysikalischen Beschreibung kann das Teilchen am Donor und Akzeptor gleichzeitig sein. Durch Rückkopplung kann man den Rückweg blockieren. Ich bin überzeugt davon, dass man mit einem realistischeren Zeitbegriff in der Naturforschung rasante Fortschritte erzielen könnte, gerade in Gebieten, wo wir jetzt noch einigermaßen hilflos sind.

Wo sehen Sie die nächsten großen Aufgaben für die Forschung?

Ich denke, es ist unheimlich wichtig, dass man die Wissenschaft in eine Richtung treibt, wo sie auch die Probleme der Menschheit löst. Zurzeit geht sehr viel Geld in Projekte, die eigentlich nicht viel bringen, zum Beispiel in die Stringtheorie. Wir brauchen eine neue Generation von philosophisch gebildeten Naturforscherinnen und Naturforschern, die Vorschläge machen, wie die Politik besser mit der Umwelt umgehen kann.

Mit der Solartechnologie ist das doch schon einmal gelungen. Konnten Sie dazu beitragen?

Prof. Helmut Tributsch bei seinem letzten Besuch am HZB. © Barbara Baumgartner-Tributsch
Prof. Helmut Tributsch bei seinem letzten Besuch am HZB. © Barbara Baumgartner-Tributsch

Ja, das ist ein unglaublicher Erfolg. Wir wären viel schlechter dran, wenn das nicht gelungen wäre… Während ich am Hahn-Meitner-Institut war, hatte ich ein Buch geschrieben „Rückkehr zur Sonne“. Und bei einer Veranstaltung an der FU kam der Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer zu mir und hat gesagt, das klinge ja sehr vernünftig, aber warum passiert nichts? Ich habe geantwortet, dass uns Politiker fehlen würden, die helfen, diese Ideen durchzusetzen. So hat das begonnen. Ich war Gründungsmitglied bei Eurosolar und zehn Jahre im Vorstand. Und Hermann Scheer hat das Thema Energie vorangetrieben. So eine Berührung zwischen Wissenschaft-Politik ist wichtig. Mit Hermann Scheer damals hat das geklappt.

Sie würden gerne in einen fachlichen Austausch über den Zeitbegriff in der Physik kommen. Aber die Quantenphysik funktioniert ja. Warum sollte man sich daher mit der Zeit befassen?

Das Problem liegt an der Spezialisierung. Es gibt wenige Leute, die sich überhaupt um solche Probleme übergreifend kümmern. Vor allem mit grundsätzlichen Fragen, auf die ich gestoßen bin, damit befassen sich nur sehr, sehr wenige. Es stimmt, die Physik hat gezeigt, dass sie gut funktioniert. Abgesehen von den Paradoxien. Wir haben uns an diese Paradoxien gewöhnt, aber ist das wirklich die Lösung? Es gibt jetzt Bestrebungen, die Physik mit Hilfe der KI schneller weiter zu entwickeln. Da die KI bestehendes Wissen (mit den bekannten Paradoxien) aufarbeitet, werden zukünftige Theorien noch mehr Paradoxien enthalten. Der Mensch wird die Theorien nicht mehr verstehen. Dies ist ein falscher Weg, die Natur zu beschreiben. Mit dem richtigen Begriff von Zeit und Energie bleibt die Natur logisch verständlich, und das ist meine Kernaussage.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das neue Buch von Helmut Tributsch war der Anlass, den Kontakt aufzunehmen und das Gespräch zu führen. Es ist im bibitri-Verlag erschienen.

Hinweis:

Mehr über die Gedanken von Helmut Tributsch erfahren Sie auf seiner Webseite oder in seinen Büchern. Das neueste Buch mit dem Titel “Dreistein enträtselt die Zeit” ist für ein breites Publikum geschrieben. Tributsch hat über diese Thematik aber auch in Fachzeitschriften publiziert.

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