Mitte Oktober war im HZB das bERLinPro “Machine Advisory Committee”, kurz: MAC, zu Gast. Man könnte auch sagen, es “tagte”, oder es “traf sich” – irgendwie stimmt alles. Als ich im ersten Jahr meine Arbeit für bERLinPro aufnahm, dachte ich, “Soso, ein MAC also. Und ich soll das organisieren. Na Klasse, was ist ein MAC? Und was macht so ein MAC?”
Ich rödelte mich also mehr oder weniger durch die Organisation und beäugte die anschliessenden Geschehnisse dann genau. Und staunte ganz gewaltig. Ein MAC-das ist nämlich eine recht geniale Geschichte, ein tolles Werkzeug, finde ich. Aber Schritt für Schritt.
Erste Frage war ja: Was ist ein MAC?
Ein “MAC”, korrekt gesprochen: Machine Advisory Committee Member Meeting, ist ein Begutachtungs- und Beratungskomitee für “eine Maschine” im beschleunigungsphysikalischen Sinne, also einem Teilchenbeschleuniger. Für bERLinPro besteht es aus 7 Experten aus Physik und Ingenieurswesen, 3 aus Deutschland, 3 aus den USA und einem aus Japan. Hinzu kommt das bERLinPro Projektteam mit seinen vielen Kolleginnen und Kollegen, von denen aber nur jene als Vortragende ausgesucht werden, die maßgeblich Daten oder Ergebnisse ihrer Fachgruppe seit dem letzten MAC liefern. Es kommt einmal im Jahr am HZB zusammen. Es gibt Kommentare und Empfehlungen ab.
Folgefrage: Was macht das MAC?
Der Ablauf eines MAC ist sehr strukturiert. Die ganze Nummer hat eine gewisse Choreographie, die bereits Monate vorher mit einer gemeinsamen Terminsuche über E-Mail beginnt und für mich viele einzelne kleine Puzzleteilchen der Organisation beinhaltet. Flug-/ Zug-/Raum- und Hotelbuchungen, Essen organisieren, Caterer beauftragen, Funktionsfähigkeit des Farbdruckers sicherstellen, Namensaufstellschildchen und Badges basteln, und, und, und. Etwa zwei Wochen vorher geben sich die vortragenden KollegInnen hier am HZB einen Probedurchlauf ihrer Präsentationen, das sogenannte “Rehearsal”. Die Präsentationen werden danach, wenige Tage vor dem MAC, für die 7 MAC-Member auf einen Serverplatz zum Download gelegt und beinhalten ein sogenanntes “Charge to the Committee”, also eine “Fragestellung an das Komitee”. Das beinhaltet, was wir am liebsten vom MAC wissen wollen, den einen oder anderen Ratschlag oder die Antwort auf die brennendsten Überlegungen und Herausforderungen. Zusätzlich wird ein Print-Portfolio für die MAC-Teilnehmer erstellt.
Wenn genau das alles erledigt ist, lehne ich, Roswitha, mich tief ausatmend zurück, denn dann ist mein Job weitgehend done. Und die MAC Member steigen in ihre Flugzeuge und Züge. Und während sie anreisen, sehen sie auf ihren Laptops schon mal die Präsentationen, die wir ihnen zum Download bereitgestellt hatten. Sie wissen also zu diesem Zeitpunkt eigentlich bereits genau, in welcher Reihenfolge wer vom HZB zu welchem Thema was erzählen wird. Und im Hörsaal laufen die Umbauten zum U-Tisch samt Auditoriumsbestuhlung. Und die Medientechnik bekommt die Vorträge in eine Cloud gepackt.
So, und dann geht es los, Vorhang auf, 1. Tag des MAC, früh um halb neun.
Am 1. Tag des MAC früh konstituiert sich das 7er-Gremium eine halbe Stunde lang ohne Zuhörer in einer sogenannten “1st Closed Session”. Mir war bisher schleierhaft, was die da besprechen, aber dieses Jahr gab es eine kleine Abweichung vom Ablauf und ich bekam zufällig mit, was da passiert: Es ist eine Sitzung in kleiner Runde, während der die MAC Member festlegen, wer von ihnen für welches Thema zuständig sein wird. Bei bERLinPro sind das z.B. die Themen Cavities, Kryotechnologie, Hochfrequenz, Laser, Photokathode, Magnete, physikalische Theorie und manches mehr. Jedes MAC Mitglied verfolgt und protokolliert mit besonderem Augenmerk ein bestimmtes Thema, ein anderes Mitglied bildet dazu ein sogenanntes BackUp. Durch diese Arbeitsteilung wird es möglich, daß in nur 2 Tagen voller Vorträge am Ende tatsächlich bereits ein vorläufiger Bericht mit Recommendations zu allen Bereichen zur Verfügung gestellt werden kann. Verrückt.
Aber nicht so schnell. Während die Vorträge dann laufen, bin ich nur ab und an im Hörsaal mit dabei. Ich schaue am Anfang, ob alles gut läuft, ob alle da sind, wie es den MAC Membern geht (das ist meist die Frage nach dem JetLag) und überhaupt. Danach verkrümele ich mich wieder an meinen Schreibtisch, wo mitunter im “Back Office” ganz schön was abgeht. Schon mal gab es Probleme mit Hotelzimmern, schon mal streikte schnell mal geschwind die Air France und ich mußte umorganisieren, wie ich Tom Peterson wieder zurück nach Michigan geflogen bekam. Also irgendwas ist irgendwie immer. Na, und manchmal interessiert mich auch ein bestimmter Vortrag dann doch. Wenn ich z.B. über ein Jahr mitkriege, wie die “Kathodenkocher” ihren “Kathodenkoffer” herumschleppen, dann ist für mich der Vortrag über “Kathode” natürlich Pflicht und ich höre dann doch mal eine Runde zu – denn einfacher bekommt man die komplexe bERLinPro-Kost nicht serviert.
Ja, dieses Jahr hatte das MAC sogar eine Tour über die bERLinPro Baustelle, in die Halle, durch das GunLab, Testing Halle… irgendwann ist der erste, lange Tag dann ´rum, alle sind ziemlich platt, und fahren zusammen essen. Dieses Arbeitsessen ist semi-offizieller Teil des MAC, und dort wird weiter diskutiert, allerdings in offener Runde, nicht so streng gegliedert wie im MAC selbst.
Am zweiten Tag wiederholt sich das nochmal bis mittags, Vorträge, ein Working Lunch, und daaaaannn… wird es geheimnisvoll. “3. Closed Session”. Die Member verschwinden im “Aquarium” (so heißt der Seminarraum), Tür zu, stören verboten. Die Vortragenden atmen aus – sie haben ihren Job gemacht.
Was dann passiert, erinnert mich persönlich immer bißchen an Heiligabend in meiner Kindheit. Wir lungerten vor dem Wohnzimmer herum und hörten es drinnen rascheln und werkeln. Das Schlüsselloch war mit einem Tuch verhängt. Da drin war was im Gange, und wir hätten uns niemals getraut, die Klinke vorzeitig zu drücken. Erst, als die Tür sich von innen öffnete, ein Glöckchen läutete, strömte die Familie ins Wohnzimmer und fand die Bescherung vor.
Ich persönlich finde, solche Züge hat der sogenannte “Close Out”, das große Finale des MAC am Ende des 2. Tages. Wenn die Member dann, meist nach spannendem, mehrmaligen Verschieben des Zeitpunkts, die Tür zum Aquarium öffnen (das macht Geoff, zu dem sage ich gleich noch mehr), dann strömen wir alle gespannt wie die Flitzebogen da ´rein. Setzen uns hin – und dann ist “Showtime”.
Geoff ist eigentlich Dr. Geoffrey Krafft und Beschleunigungsphysiker am Jefferson Lab in Virginia. Er ist der Chair des MAC, also der Chef. Beim Close Out erfüllt er die Funktion des Vortragenden. Während der Preliminary Report auf dem Monitor erscheint, liest er ihn noch einmal explizit vor und ergänzt an manchen Stellen. Die Themen der Vorträge, wie Cavities, GunLab, Kathode, was auch immer, werden kommentiert mit den Anmerkungen und “Recommendations” des MAC. An dieser Stelle bekommen wir also Lob, aber keine Kritik. Es kommen stattdessen Empfehlungen. Hier freut sich jeder Teil-Projektleiter, wenn er keine Recommendations bekommt – denn dann ist alles picobello.
Am Ende dieses Close Out weiß das Projektteam, was Sache ist, was als Nächstes gemacht werden soll, was priorisiert werden muß, ob mehr Personal gebraucht wird, oder was auch immer. Die Empfehlungen des MAC sind in keinster Weise bindend für die Geschäftsführung des HZB – aber auf wen, wenn nicht auf diese Experten, soll und will man sonst hören?
Als ich das erstemal in einem Close Out saß, beobachtete ich Geoff mit mulmigen Gefühlen. Er ist groß, sehr schlank und bewegte sich beim Vortragen irgendwie sehr schlaksig über die vor ihm am Boden liegenden Kabel von Monitor, Computern und Co. hin und her, hin und her. Ich wurde innerlich immer nervöser, wie er fröhlich in den Raum hinein schaute, kein bißchen auf die Kabel guckte, und immer wieder über die Kabel stieg, immer wieder. Ich dachte, “Oh nein, eigentlich möchte ich jetzt nicht sehen, wie der jetzt über die Kabel den Abflug macht, bitte nicht…” Ich hatte Glück.
Als ich das einer Kollegin hier erzählte, die selbst in Beschleunigerphysik habilitiert ist, lachte sie: “Da mußt du dir überhaupt keine Gedanken machen. Der Mann ist soviel Zeit in seinem Leben in irgendwelchen Tunneln herumgekrochen. So einer stolpert nicht über ein paar Kabel.”