Wer auf den Bus 318 an der Endhaltestelle in Wannsee wartet, kann manchmal lange stehen. Und wer dabei einmal nicht auf sein Smartphone gucken möchte, braucht sich nur umzudrehen: Hinter der Haltestelle befindet sich ein Naturparadies – das sogenannte Ost-Gelände des Helmholtz-Zentrum Berlin.
Es ist seit Jahrzehnten ein fast unberührter Fleck: Vom Zaun aus entdeckt man tote Bäume, Brennnesseln, herumliegendes Holz und einige Barracken. Auf den ersten Blick sieht das Grundstück verwildert aus. Doch gerade deshalb ist hier ein Ökosystem entstanden, das einen wichtigen Rückzugsort für einheimische Tiere und Insekten bietet.
Ich treffe mich bei schönem Spätsommerwetter mit Dr. Karin Haas, der Nachhaltigkeitsbeauftragten des HZB. Sie kümmert sich um die naturnahe Gestaltung des Geländes. Wir lassen uns das Tor D4 von der Pforte aufschließen und tauchen ab in eine andere Welt. Zunächst geht es durch Brennnesseln. Meine Bürokleidung ist denkbar unpraktisch für diesen Ausflug, Wanderschuhe wären heute besser gewesen, stelle ich fest.
Die Schafe kommen im nächsten Jahr wieder
In diesem Jahr sind die Brennnesseln besonders hoch. Seit 2019 grasen hier von Frühling bis in den Spätherbst hinein eigentlich Schafe und Ziegen, unsere natürlichen Rasenmäher. Sie beweiden das Grundstück und halten Brombeeren, wilden Wein und Brennnesseln im Zaum. Das trägt zur Artenvielfalt bei, denn die Schafe zerbeißen den Samen von Blumen, Kräutern und Gräsern und verbreiten ihn dadurch. Der Tritt der Tiere sorgt dafür, dass es aufgelockerte, offene Stellen im Boden gibt. Dadurch können die Samen besonders gut keimen (Interview mit dem Schäfer).
Doch in diesem Jahr ist leider kein Blöken zu hören. Die Tiere konnten nicht aus ihrem Winterquartier zurückkommen, weil ein schwerer Sturm im Februar 2022 auf dem Gelände gewütet hatte. Zwar haben die Gärtner die herumliegenden Bäume und Äste mittlerweile beseitigt. Aber im Wurzelbereich der umgefallenen Bäume sind große Aushöhlungen entstanden, in denen sich die Schafe verfangen könnten. „Im nächsten Jahr kommen die Schafe wieder zu uns“, verspricht Karin Haas. Übrigens: Eine der Baracken in der Mitte des Grundstücks ist ihr Stall.
Obstwiesen und Unterschlupfe für Vögel und Fledermäuse
Es geht quer durchs Gelände zu alten Obstbäumen. Über uns kreist ein Raubvogel. Wir entdecken Birnen- und Apfelbäume voller Früchte, aber auch abgestorbene Bäume. Karin Haas macht mich auf die Höhlen im Holz aufmerksam. Es sind sehr viele, mehrere pro Baumstamm. Sie erklärt: „Tote Bäume sind nach ihrem Absterben noch jahrelang wertvolle Bruthabitate. Häufig werden sie entfernt, weil sie „unschön“ sind oder eine Gefährdung darstellen wie zum Beispiel am Straßenrand. Im Ostgelände können wir sie stehen lassen.“ Hier finden Vögel, Fledermäuse, Käfer oder Wildbienen Unterschlupf.
Wir laufen an einem in zwei Meter Höhe abgesägten Baumstamm vorbei, auch das ist kein Zufall. „Die Baumstämme lassen wir hier stehen und warten, wer einzieht“, erzählt Karin Haas. Am Boden entdecken wir eine lilablühende Kratzdistel, auf der eine Wildbiene gerade den begehrten Nektar erntet. Daneben springt ein Grashüpfer. Wer genau hinschaut, entdeckt die Fauna, die hier ungestört lebt. Sogar Dachsspuren wurden hier schon gesichtet.
Den Bäumen fehlt der Sommerregen
Einige Bäume mussten in den letzten Jahren aber dann doch gefällt werden, damit sich das Gelände insgesamt ökologisch vielfältig entwickelt. Aus den Überresten sind mehrere Totholzhaufen auf dem Grundstück entstanden. Sie sind nun Rückzugsorte und Winterquartiere für Igel und andere kleine Tiere. Auf dem Gelände wachsen auch neugepflanzte Bäume, zum Beispiel eine Butterbirne oder ein Speierling. Damit sie einigermaßen gut die Trockenheit des Sommers überstehen, haben sie nun Bewässerungssäcke erhalten. Einige lassen dennoch ihre Blätter hängen und warten auf richtigen, ausdauernden Regen, der in diesem Sommer so sehr fehlte.
Der ganze Wannsee-Campus ist ein Naturparadies
Wir beenden unseren Rundgang durch das Naturparadies. Der Pförtner öffnet uns das Tor und wir betreten wieder das für Mitarbeitende und Gäste zugängliche Gelände des Campus. Auch hier ist es grün, seit Jahren setzt das HZB auf eine naturnahe Bewirtschaftung. Die Rasenflächen werden seltener gemäht und Laubbläser haben auf Grünflächen nichts mehr zu suchen. Die nachhaltige Entwicklung kommt nicht nur der Insektenwelt zugute, sondern auch den vielen Menschen, die hier arbeiten und sich dabei von der Idylle des Campus inspirieren lassen.
Eine sensibel-detaillierte Beschreibung dieses wertvollen HZB-Biotops.