Andrea Denker kümmert sich mit ihrem Team um den Beschleuniger für eine hochspezielle Therapie für Augentumore. Gemeinsam haben Ärzte, Medizinphysiker und Beschleunigerexperten schon mehr als 3000 Patienten mit Protonen behandelt und ihnen dadurch auch das Augenlicht gerettet.
Andrea Denker steht auf der Leiter und zeigt den Beschleuniger, in dem die Protonen auf die richtige Energie gebracht werden. „Das hier ist unsere Maschine, für die wir beinahe alles tun“, sagt sie schmunzelnd. In ihren Worten schwingt auch Respekt vor dieser Aufgabe mit: Ihr Beschleuniger dient der Bestrahlung von Augentumoren und muss deshalb extrem stabil laufen, denn selbst kleine Schwankungen würden den Therapieerfolg schmälern. „Die Bestrahlung dauert zwar nur 30 bis 60 Sekunden, aber wir wissen nicht, in welchem Moment der Strahl von den Ärzten und Medizinphysikern der Charité Berlin benötigt wird. Das erfordert jederzeit große Konzentration“, sagt Denker.
Einzigartige Therapie für Augentumore: Das Auge bleibt meistens erhalten
Die Physikerin hat eine verantwortungsvolle Aufgabe. Daran erinnert auch die Pinnwand im Flur ihrer Abteilung mit den vielen Zeitungsartikeln über die spezielle Augentumor-Therapie. Trotzdem geben sie nur einen kleinen Ausschnitt dessen wieder, was die Teams von der Charité Berlin und vom HZB seit Jahren leisten: Gemeinsam bieten sie eine in Deutschland einzigartige Therapie an, bei der Augentumore mit Protonen zerstört werden. In vielen Fällen bleibt dabei das Augenlicht der Patientinnen und Patienten erhalten. Mehr als 3000 Patienten haben bisher von dieser Therapie profitiert.
Für Andrea Denker und ihr Team erwächst daraus eine schwierige Aufgabe: Während im Wissenschaftsbetrieb auch mal ein Experiment verschoben oder wiederholt werden könne, darf das im Therapiebetrieb nicht passieren. „Die Therapie hat höchste Priorität. Wenn Probleme auftauchen, müssen die Kolleginnen und Kollegen auch nach Feierabend ans HZB kommen. Alle im Team haben das verinnerlicht und engagieren sich großartig“, erzählt sie.
Als Frau Chefin einer Beschleunigeranlage zu sein, ist auch heute nicht unbedingt selbstverständlich. „Ich habe mir das Beschleuniger-Know-how nach und nach angeeignet“, erzählt Andrea Denker. Schon früh hat sie sich für die ganz große Fragen interessiert, zum Beispiel wie das Universum aufgebaut ist und woher das Leben kommt. „Ich wollte die Zusammenhänge unserer Welt verstehen, das hat mich in die Physik getrieben.“ Obwohl sie noch am Gymnasium ein sprachliches Profil wählte, entschied sie sich 1982 für ein Physikstudium an der Universität Stuttgart. „Frauen hatten damals nur wenige Vorbilder und es gab durchaus Professoren, die meinten, dass Frauen an den Herd und zu den Kindern gehörten“, erinnert sie sich. Aber ihr Vater und später ihr Doktorvater haben sie immer wieder motiviert, ihren eigenen Weg zu finden.
Von der Astro- zur Beschleunigerphysik
Nach dem Studium promovierte Andrea Denker in Stuttgart auf dem Gebiet der nuklearen Astrophysik. Sie forschte zur Frage, wie das Leben und die Materie aus dem Sternenstaub entstehen konnten. Während ihrer Diplomarbeit kam die Kernphysikerin zum ersten Mal mit Beschleunigern in Kontakt, sie experimentierte unter anderem an Anlagen in Bochum und Stuttgart. Damals gab es noch keine technischen Teams, die die Nutzer bei der Arbeit unterstützten. „Es war üblich, dass man angelernt wurde, den Beschleuniger selbst zu fahren und den Strahl einzustellen. Zuerst hatte ich große Ehrfurcht, aber man wächst da hinein“, erzählt Andrea Denker. Nach ihrer Promotion ging sie als Postdoktorandin an das Centre de Spectroscopie Nuclear et Sectroscopie des Masses nach Orsay in Frankreich.
Die anschließende Jobsuche war nicht einfach: Mitte der 1990iger Jahre hatte die Kernphysik an gesellschaftlicher Akzeptanz eingebüßt, neue Stellen gab es praktisch nicht. Viele Forscher wechselten deshalb in die Beschleunigerphysik, so auch Andrea Denker. Sie bewarb sich als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Hahn-Meitner-Institut und zog 1995 nach Berlin. Sie betreute andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Ionenstrahllabor – so hieß der Beschleuniger damals, der heute für die Protonentherapie genutzt wird – und baute das Instrument PIXE auf, mit dem beispielsweise Werkstoffe oder Kunstgegenstände mit Ionenstrahlen untersucht werden können. Darüber hinaus führte sie Strahlberechnungen für den Beschleuniger durch; auch für die Augentumortherapie, die schon zu diesem Zeitpunkt in Planung war.
“Wir sind in der Pflicht, Nachwuchs auszubilden.”
Ursprünglich war die Therapie am Campus Wannsee auf 100 bis 150 Patienten pro Jahr ausgelegt. „Nun kommen doppelt so viele zu uns“, sagt Andrea Denker. Das liege vor allem an der sehr guten Zusammenarbeit mit der Charité Berlin, aber auch am Erfahrungsgewinn. Das 13-köpfige Team um Andrea Denker wartet die Anlage nicht nur regelmäßig, es entwickelt auch in internationalen Kollaborationen neue Komponenten. Zurzeit baut die Abteilung mit dem renommierten südafrikanischen Beschleunigerzentrum iThemba LABs eine neue Elektronik zur Steuerung der Anlage. Doch Andrea Denker weiß: Nicht nur auf die Maschine kommt es an, sondern auch auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sie zuverlässig bedienen können. Deshalb engagiert sie sich in der Nachwuchsausbildung, hält Vorlesungen über physikalische Technik an der Beuth-Hochschule und hat eine Doktorandin in ihr Team geholt. „Beschleuniger-Experten sind weltweit rar und es ist unsere Aufgabe, sie auszubilden. Außerdem stellen Studierende Fragen, die uns zum Nachdenken bringen. Das ist wichtig.“
Auch Teile der Rosetta-Sonde waren unter dem Protonenstrahl
Das Engagement an vielen verschiedenen Fronten prägt die Physikerin: Wenn der Therapieplan und die reguläre Arbeit es zulassen, kümmert sie sich zusätzlich um Industrie- und Forschungspartner, mit denen das HZB Kooperationsverträge geschlossen hat. An der Anlage werden vor allem Strahlhärtetests durchgeführt, mit denen sich überprüfen lässt, ob Solarzellen oder andere elektronischen Bauteile der Weltraumstrahlung standhalten. Vor einigen Jahren wurden zum Beispiel die Elektronik der Rosetta-Sonde und Teile der ISS in den Beschleunigerstrahl gehalten. Und vor kurzen hat Andrea Denker das Experiment eines HZB-Doktoranden mitbetreut, der die Funktionsfähigkeit von Perowskit-Solarzellen testete. „Daraus ist eine schöne Publikation entstanden“, sagt sie.
Frischer Wind: bei der Arbeit und beim Segeln
Ausgleich zum beruflichen Alltag findet Andrea Denker, wenn sie mit ihrem Pferd in der brandenburgischen Landschaft unterwegs ist. In Berlin hat sie noch einen weiteren Sport entdeckt: das Segeln. Anfangs war sie vor allem auf den Seen der Umgebung unterwegs, mittlerweile ist sie sogar bis nach Bergen in Norwegen gekommen. Segeln ist ein Hobby, das auch gut zu ihrer beruflichen Leidenschaft passt: Eine Brise frischen Winds ist nicht nur auf dem Wasser nützlich, sondern bringt auch die Arbeit voran.