
Nikolay Kardjilov ist ein international anerkannter Experte auf dem Gebiet der Neutronentomographie. Die Teilchen eröffnen ihm einen Blick in Dinosaurierschädel, in alte indische Skulpturen, aber auch in Brennstoffzellen und Magnetfelder.
Mit Neutronen archäologische Gegenstände durchleuchten
„Jede Probe ist anders.“ Nikolay Kardjilov deutet auf den Halter, auf dem er schon Hunderte Gegenstände untersucht hat. Mit Hilfe von Neutronen kann er in ihr Innerstes schauen und dreidimensionale Bilder davon zerstörungsfrei erstellen. Der 46-Jährige arbeitet seit 2003 am Forschungsreaktor in Wannsee und betreut das Instrument CONRAD – das steht für „Cold Neutron Radiography“.
CONRAD ist zehn Meter lang, von außen ein silberner Kasten, von innen ausgekleidet mit schwarzem Kunststoff, der der Abschirmung der Neutronenstrahlung dient. In seine Probenhalterung hat Nikolay Kardjilov schon Fossilien aus dem Naturkundemuseum montiert, archäologische Fundstücke wie Ritterrüstungen, aber auch Lithiumbatterien und Brennstoffzellen.
Mehr Kontrast als Röntgenmethoden
Die Proben werden mit kalten,
niedrigenergetischen Neutronen durchleuchtet, die im Forschungsreaktor BER II
erzeugt werden. Neutronen können besonders gut Wasserstoffmoleküle in Proben
aufspüren. Dadurch wird auf den Bildern viel mehr Kontrast erreicht als bei
Standard-Röntgen-Untersuchungsmethoden. „Unsere Aufgabe ist es, zu
entdecken, was in den Proben steckt“, erklärt Kardjilov seine Detektivarbeit.
„Die Nutzer interpretieren dann die Bilder, die wir ihnen geben.“
Kardjilov arbeitet in der Imaging-Gruppe des Institutes für Angewandte Materialforschung (EM-IAM). Der gebürtige Bulgare hat kurzes graues Haar. Er trägt Turnschuhe, Jeans und ein kariertes blaues Hemd. Bevor er nach Wannsee kam, schrieb er 1998 am Forschungsreaktor der Technischen Universität München seine Doktorarbeit. Schon früh begeisterte er sich für die Naturwissenschaften. Sein Studium der Festkörperphysik begann er in Sofia, dann ging er nach Russland für sein Diplom.
Heute lebt Kardjilov in Potsdam und hat drei schulpflichtige Kinder, einen Sohn und zwei Töchter. Gefragt nach seinen Hobbys neben seiner Arbeit im Reaktor lacht er kurz auf: „Das sind vor allem die Kinder“, sagt er. Zwischendrin ein bisschen Musik und ein paar Bücher. Vor allem Science Fiction mag er, und Pink Floyd.
Dinoschädel aus dem Naturkundemuseum durchleuchtet
Als Wissenschaftler ist Kardjilov weltweit anerkannt und gefragt. Seine Gäste kommen aus der ganzen Welt: aus Japan, den USA, Südafrika, Russland, Korea, aus vielen Ländern Europas – und aus Deutschland. Unter anderem haben Forscher vom Berliner Naturkundemuseum einen Dinosaurierschädel des Lystrosaurus in CONRAD untersucht. Mit Hilfe der Neutronentomographie konnten sie kleine Knorpel in der Nase analysieren, die dem Saurier dazu dienten, sein Blut zu kühlen. Sie bewiesen damit, dass der Lystrosaurus ein Warmblüter war.
Wissenschaftler der Wallace Collection in London brachten eine Ritterrüstung ans HZB, Forscher vom Stibbert Museum in Florenz japanische Schwerte und Bogen, Archäologen vom Rijksmuseum Amsterdam große Bronze-Skulpturen aus Indien. „Sie alle wollten herausfinden, wie ihre Gegenstände hergestellt wurden und damit etwas über das Handwerk jener Zeiten erfahren.“
Die Methode ist weltweit gefragt – und überbucht
Kardjilov mag an seiner Arbeit genau diese Vielfalt: „Der Charme ist, dass man keine Langeweile hat. Mit jeder Probe kommt eine kleine Welt zu uns.“ Wie gefragt das CONRAD ist, sieht man auch an der Zahl der „Überbuchungen“: Es gibt über 2 Mal mehr Messzeit-Anträge als Zeit zur Verfügung steht. Mit dieser Quote ist CONRAD eines der erfolgreichsten Instrumente am Forschungsreaktor. Allein in den letzten fünf Jahren gab es 49 Publikationen zu Forschungen an CONRAD. Diesen Erfolg bescheinigten auch unabhängige internationale Expertinnen und Experten, die das HZB im vergangenen Jahr im Rahmen der Programmorientierten Förderung (POF) evaluiert haben: Sie vergaben die Bestnote „outstanding capabilities“.
Die Beliebtheit von CONRAD hat nicht nur mit dem Rundum-Sorglos-Paket zu tun, das Nikolay Kardjilov und die Imaging-Gruppe unter der Leitung von Ingo Manke den Nutzerinnen und Nutzern bieten. CONRAD ermöglicht einzigartige Untersuchungen: Das Instruments ist so konstruiert, dass sich Proben auf einer Fläche von 20 Zentimeter mal 20 Zentimeter mit dem Neutronenstrahl untersuchen lassen. Damit können auch große Gegenstände durchleuchtet werden. Und das Team um Kardjilov lässt sich technisch immer wieder etwas Neues einfallen: Es hat unter anderem einen neuen hochauflösenden Detektor entwickelt, damit die feinen Strukturen in einer Brennstoffzelle sichtbar gemacht werden können.
Auch auf die Aufbereitung der Ergebnisse legt Kardjilov viel Wert und unterstützt die Nutzerinnen und Nutzer bei dieser Aufgabe. Denn die Auswertungen können extrem aufwändig werden und sind auf gewöhnlichen Rechnern nicht immer zu leisten. „Andernfalls besteht die Gefahr, dass tolle Messungen in der Schublade landen.“
Brennstoffzellen für die Automobilindustrie
Rund 30 Prozent der Messzeit dürfen die HZB-Forschenden für ihre eigenen Untersuchungen nutzen. Kardjilov selbst forscht an der Optimierung von Messmethoden, die geeignet sind für die Untersuchung von Brennstoffzellen in der Autoindustrie. „Zum Thema Magnetismus gab es zwei hochrangige Publikationen in der letzten Zeit“, sagt Kardjilov. Dabei konnten die Wissenschaftler unter anderem die Feldlinien von Magneten nachweisen. Die Imaging-Gruppe hat es kürzlich geschafft, das Magnetfeld im Inneren von einem Supraleiter in 3D zu rekonstruieren. Die entscheidenden Experimente wurden von Kardjilov und seinen Kollegen André Hilger und Henning Markötter an CONRAD durchgeführt.
Ab 2020 wird das Neutroneninstrument voraussichtlich in Grenoble aufgebaut
Wenn der Reaktor Ende 2019 schließt, besteht Interesse vom Institut Laue-Langevin (ILL) in Grenoble, CONRAD zu übernehmen. Am ILL, das mit seinem Hochflussreaktor die stärkste Neutronenquelle der Welt betreibt, soll das Instrument vor dem Weiterbetrieb an die neuen Strahlparameter angepasst werden. Der Umzug des CONRAD bedeutet für Kardjilov und seine Kollegen aus der Imaging-Gruppe eine Umstellung: „Wir werden vom Betreiber des Instruments zum Nutzer. Wir werden nun Anträge schreiben, um Messzeit für unsere Forschungen zu bekommen.“
von Anja Mia Neumann